Anmerkungen zur Begrifflichkeit der Verschwörungstheorie
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Insbesondere im deutschen Sprachraum gibt es seit einigen Jahren eine Diskussion darüber, ob man von Verschwörungstheorien sprechen soll (Butter 2018, S. 44-56) oder besser von Verschwörungserzählungen (Nocun/Lamberty 2020), Verschwörungsmythen (Blume 2020), Verschwörungsideologien o.ä.
Hauptargument derer, die sich gegen die Begrifflichkeit der Verschwörungstheorie aussprechen, ist die angebliche Wertung, die in der Nutzung des Begriffes mitschwinge. Dieses Argument wird in zwei Richtungen vorgebracht: Die einen wollen den Begriff der Verschwörungstheorie nicht verwenden, weil er sich als ein politisch umstrittener, stark normativ aufgeladener, per se abwertender Begriff nicht als empirisch-analytischer Begriff eigne (hierzu Butter 2018, S. 44-56). Andere wiederum lehnen den Begriff unter umgekehrten Vorzeichen als ungeeignet ab, da er Verschwörungstheorien angeblich aufwerte, indem er sie als Theorien bezeichne und damit vermeintlich als wissenschaftlich adele (Nocun/Lamberty 2020; S. 21).
Mit Michael Butter (2018) halten wir pragmatisch an der Begrifflichkeit der Verschwörungstheorie fest, da zum einen der Begriff ein eingeführter und allseits bekannter Begriff ist und zum anderen sich die beschriebenen Deutungsmöglichkeiten und Wertungen auch bei jeder alternativen Begrifflichkeit ergeben. Umstritten und normativ aufgeladen sind die meisten interessanten politischen und soziologischen Begriffe, sei es Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit, Frieden, aber auch Macht, Demokratie oder Populismus. Der jeweilige Gebrauch der Begriffe muss immer definiert und erklärt und ggf. gegen alternative Verwendungen abgegrenzt werden. Das heißt aber auch, dass die Verwendung alternativer Begriffe bei kompatibler Definition des Inhalts kein grundlegendes Problem darstellt. Deshalb greifen wir in der Arbeitshilfe auch auf gute Materialien zurück, die bspw. den Begriff der Verschwörungserzählung verwenden, diesen aber so verwenden, wie es unserem Verständnis einer Verschwörungstheorie entspricht.
Statt also eine verbreitete, auch im englischen Sprachraum gängige Begrifflichkeit (conspiracy theory) mühsam zu umgehen, sollten wir deutlich machen, was wir darunter verstanden wissen wollen:
Wenn wir Theorien allgemein als (ein System von) Aussagen über die Welt und spezifischen Phänomenen und Zusammenhängen in derselben verstehen, dann können wir zwischen Alltagstheorien und wissenschaftlichen Theorien unterscheiden:
Alltagstheorien (und unser Alltagswissen) umfassen all jene mehr oder minder bewussten Annahmen über das Funktionieren der Welt, mit denen wir große Teile unseres Alltags bestreiten (wodurch eine gewisse alltagspraktische Überprüfung stattfindet, die aber im Einzelfall auch trügerisch sein kann; viele der Alltagsannahmen und -theorien sind jedoch prinzipiell auch so zu formulieren, dass sie überprüfbar und widerlegbar werden).
Wissenschaftliche Theorien zeichnen sich eben dadurch aus, dass sie so formuliert sind, dass sie überprüfbar (durch Erfahrungen und Beobachtungen) und damit prinzipiell widerlegbar zu sein haben (nicht etwa per se wahr).
Verschwörungstheorien werden entweder trotz widersprechender empirischer Befunde vertreten bzw. dieser Überprüfbarkeit entzogen – bspw. indem deren Vertreter*innen die faktenbasierten Widerlegungen selbst als Teil der behaupteten Verschwörung deuten und damit die empirischen Tatsachen leugnen. Es ist dies eine Form der Immunisierung gegen Kritik, die allen wissenschaftlichen Standards widerspricht. Die „Nicht-Belegbarkeit“ der Verschwörungsunterstellungen wird als Ausweis des Ausmaßes der Verschwörung und der vermeintlichen Macht der Verschwörer selbst in ihr Gegenteil verkehrt. Es bleiben aber Vorstellungen über die Ordnung und das Funktionieren der Welt, die für sich beanspruchen, wahr zu sein. Die Autoren sind der Ansicht, dass solche Verschwörungstheorien deshalb als schlechte, unwissenschaftliche Theorien kritisiert werden sollten, eine Änderung der Begrifflichkeiten hier aber wenig zielführend ist.
Vielmehr erscheint es uns sinnvoll, Begriffe wie Verschwörungserzählung, Verschwörungsmythos, Verschwörungsideologie für spezifische Ausformungen verschwörungstheoretischen Denkens und der Präsentation von Verschwörungstheorien zu verwenden.