Als Kirche Haltung zeigen!

19. März 2024

Vortrag von Altbischof Markus Dröge in Braunschweig

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Am 19.03. lud der Braunschweiger Dom zur Politischen Abendandacht. Diese wurde von Bischof i.R. der EKBO und Vorstandsprecher der Stiftung Zukunft Markus Dröge gehalten. Im Folgenden lesen Sie seine Andacht im Wortlaut:

 

 

„Wehrhafte Demokratie? Als Kirche Haltung zeigen!“

 

I.

Es ist zehn Jahre her – damals war ich, als gelernter Westler, seit fünf Jahren im Bischofsamt der EKBO – als das Thema des Rechtspopulismus und Rechts­extremismus in Brandenburg aktuell wurde. Rechte Aufmärsche; Gebäude, die für Geflüchtete hergerichtet waren, wurden angezündet; es gab Anfeindungen gegen Ehren­amtliche, die sich in der Hilfe für Geflüchtete engagierten. Die Bürger­schaft begann sich zu spalten in diejenigen, die an einer menschen­freundlichen Will­kommenskultur festhielten und denen, die sich anstecken ließen von men­schen­feindlichen Parolen.

Wenn ich damals als Gast in westdeutschen Kirchen zum Vortrag eingeladen wurde, fühlte ich mich ein wenig wie ein Exot: Mit Interesse wurde mir zuge­hört. Aber ich spürte, dass meine Berichte weit weg waren von dem, was Menschen im Rheinland und in Hessen, in Bayern und in Würt­temberg erlebten. Die Entwicklungen in den östlichen Bundes­ländern wurden nicht als eine ernst­hafte Gefahr für unser Land wahrgenommen. Und dass unsere Demokratie ge­fährdet sei, erschien als dramatisierende Übertreibung.

Heute sieht dies anders aus: Die AfD hat sich erstens radikalisiert und hat zweitens wesent­lich an Zustim­mung gewonnen. Bei den vor uns liegenden Landtags- und Euro­pawahlen wird mit schwierigen Ergebnissen gerechnet. Die Stimmung und die Machtver­hältnisse sowohl im Europa-Parlament als auch in einigen Landes­parlamenten könnten sich stark verändern.

Gottlob erwacht aber auch der Geist des Widerstandes: Nachdem der Verfas­sungsschutz eine glaubwürdige Leitung bekommen hat, hat er eine stringente und entschiedene Arbeit begonnen. Nachdem die Öffentlichkeit durch das ent­larvende Treffen in Potsdam endlich mitbekommen hat, was in der AfD unter dem Radar wirklich gedacht und geplant wird; nachdem nun die großen Kirchen und auch andere Religionsgemeinschaften den Mut zu einer klaren inhaltlichen Abgrenzung gefunden haben; nachdem viele Menschen auf die Straße gehen, um für ihre demokratische Überzeugung zu demonstrieren; und nachdem nun auch Industrielle öffentlich Stellung beziehen – nachdem all dies geschieht, be­steht die berechtigte Hoffnung, dass unsere Demokratie wirk­lich ihre Rolle als wehrhafte Demokratie findet und damit die Kraft aufbringt, sich wirkungsvoll gegen die Ideologien zu verteidigen, die unser freiheitliches Gesellschaftssystem von innen heraus zerstören wollen, um eine autoritäre Regierungsform durchzu­setzen. Es ist auch höchste Zeit! Allein die Tatsache, dass eine große An­zahl von rechtsextremen Personen durch AfD-Abgeordnete im Bundestag tätig sind, und damit Zugang zu Informationen haben, mit denen sie schweren Schaden anrich­ten können, macht diese akute Gefahr deutlich.

 

II.

Ich denke als Theologe nicht zuerst machtpolitisch, sondern zuerst ideenge­schichtlich. Welche Ideologie wird eigentlich von der neuen Rechten vertreten? Was ist das für eine geistige Welt, die sich da bei uns breitmachen will? Und was haben wir als Christinnen und Christen dazu zu sagen? Ideen sind stark. Denn mit Ideen gewinnt man die Menschen. Und Ideen, die sich durchsetzen, können zu Mehrheiten werden und dann zu Machtfaktoren in unserer Demokratie.

Schaut man genauer in die Gedankenwelt der AfD, wird sehr schnell deutlich: Der Kontrast zwischen dem, was im Umfeld der AfD vertreten wird und dem, wofür der christliche Glaube steht, kann größer nicht sein. Ich nenne Beispiele:

  • Christen haben in unserem Land durch die Geschichte des Kirchen­kampfes in den 1930er Jahren gelernt, dass eine völkische Ideologie der Gottebenbildlichkeit aller Menschen zutiefst widerspricht und den Keim nationalistischer Gewalt in sich birgt. Sie stehen deshalb mit guten Grün­den zu unserem Grundgesetz, das auf der gleiche Würde aller Menschen aufbaut. Die neue Rechte aber vertritt inzwischen unge­schminkt wieder neu die völkische Ideologie. Die Christen in der AfD sagen heute (und zwar in ihrer aktuellen Erwiderung auf den Abgren­zungsbeschluss der katholischen Deutschen Bischofskonferenz):

"Von der Existenz unterschiedlicher, voneinander getrennter Völker als Abstammungs- und Blutsgemeinschaft …geht … der christliche Schöpfergott der Bibel als dessen Schöpfung aus."

Wer nur ein wenig die Kirchengeschichte der 1930er Jahre gelernt hat, weiß, dass dies ganz nah an dem ist, was die Nazi-Christen, die sog. „Deut­schen Christen“ damals vertreten haben und später dann die Apart­heidstheologen in Südafrika. Theologisch ist dies nicht haltbar, und war es noch nie.

  • Ein anderes Beispiel ist die Religionsfreiheit: Die Ideologie der AfD, nach­lesbar in deren Parteiprogramm, will die Reli­gionsfreiheit der mus­limischen Mitbürger einschränken – von den Deporta­tionsfantasien ganz zu schweigen. Wir als Christinnen und Christen habe aber gelernt, dass die Zukunft einer friedlichen Welt auch vom Frieden der Religionen abhängen wird. Und die verantwortlichen Vertreter des Islam sehen dies nicht anders.

Ich hatte die Chance im Jahr 2019 an dem großen Interreligiösen Treffen in Abu Dhabi teilzunehmen, bei dem Großimam Al Tayeb aus Kairo und Papst Franziskus die Erklärung „Human Fraternity“ unter­schrie­ben haben, ein Bekenntnis zur gleichen Würde aller Menschen, religiös aus christlicher und muslimischer Tradition begründet.

Was die AfD vertritt ist also ein kultureller Rückschritt in der Entwicklungs­geschichte der Religionen. Dass der Weg zum Frieden zwischen den Reli­gionen noch weit und steinig ist, angesichts von Radikalisierung und Funda­men­talis­mus im Bereich der Religionen weltweit, das ist klar. Aber man findet keine Lösungen, in dem man den einzig möglichen friedlichen Weg aufgibt und andere Religionen aus der Religionsfreiheit ausschließt.

  • Ein anderes Beispiel ist die Haltung zu Europa: Die AfD will aus dem Friedensprojekt Europa aussteigen. Die Christen Europas aber haben sich seit dem Zweiten Weltkrieg auf einen Weg der Ver­söhnung gemacht, der das politische Zusammenwachsen Europas unter­stützt. Ich erinnere nur an die Charta Oecumenica aus dem Jahr 2002, wo die Ökumenische Chris­tenheit Europas diesen Weg der Versöhnung einmütig formuliert hat.
  • Und schließlich das Thema Wahrhaftigkeit: Die AfD vertritt strategische Programme, die sich schamlos für die Ver­zerrung von sachlichen Diskur­sen in der Öffentlichen Diskussion ein­setzen. Provokation und die Ver­dreh­ung der Wahrheit werden zur Methode gemacht. Dies ist nachzulesen in dem „AfD-Manifest für das Wahljahr 2017. Dem Volk die Staatsgewalt zurückgeben.“ Christen aber stehen für die Glaubwürdigkeit des Wortes.

Wenn wir Christen uns für eine wehrhafte Demokratie einsetzen, dann tun wir dies also nicht, weil wir Parteipolitik betreiben, sondern weil wir die humanen Werte verteidigen, die allein die Würde des Menschen bewahren können, und weil wir eine Lerngeschichte zu verteidigen haben, die unsere Kirche und unsere Gesell­schaft seit 1945 erlebt hat. Es geht um die Grundlagen unseres Bekennt­nisses und die Grundlagen unserer freiheitlichen Gesellschaft. Um nichts weniger.

III.

Was ist in dieser Situation die Verantwortung der Kirche und jedes einzelnen Christenmenschen?

Als erstes gilt es, der geistigen Situation klar ins Auge zu schauen. Ideenge­schicht­lich gibt es keine Gemeinsamkeiten zwischen dem rechtsextremistischen Gedankengut der AfD und dem christlichen Glauben. So verständlich die Sehn­sucht nach Har­mo­nie auch ist: Wir müssen um der Wahrhaftigkeit willen die Dinge beim Namen nennen. Die katholischen Bischöfe unseres Landes haben dies dankenswerter Weise gerade in großer Einstimmigkeit und Klarheit getan. Sie haben am 22. Februar erklärt:

Für die Kirche … ist klar: Jeder Mensch besitzt eine unantastbare und unverfügbare Würde. Sie gründet in der Gottebenbildlichkeit aller Menschen und ist die Basis der Menschenrechte. … Dieses Denken hat auch in unserer Verfassung seinen Niederschlag gefunden. In scharfer Abgrenzung zum Natio­nalsozialismus und zur Neuen Rechten bekennt sich das Grundgesetz ausdrück­lich zur fundamentalen … Bedeutung der Menschenwürde. ….

(Inzwischen) dominiert … vor allem in der Partei „Alternative für Deutsch­land“ (AfD) eine völkisch-nationalistische Gesinnung. Die AfD changiert zwischen einem echten Rechtsextremismus, den der Verfassungsschutz einigen Landesverbänden und der Jugendorganisation der Partei attestiert, und einem Rechtspopulismus, der weniger radikal und grundsätzlich daherkommt. Der Rechtspopulismus ist der schillernde Rand des Rechtsextremismus, von dem er ideologisch aufgeladen wird. In beiden Fällen wird stereotypen Ressentiments freie Bahn verschafft: gegen Geflüchtete und Migranten, gegen Muslime, gegen die vermeintliche Verschwörung der sogenannten globalen Eliten, immer stärker auch wieder gegen Jüdinnen und Juden.

Wir sagen mit aller Klarheit: Völkischer Nationalismus ist mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild unvereinbar. Rechtsextreme Parteien und solche, die am Rande dieser Ideologie wuchern, können für Christinnen und Christen daher kein Ort ihrer politischen Betätigung sein und sind auch nicht wählbar.

Der Kontrast zwischen christlichem Glauben und AfD-Ideologie könnte also größer nicht sein!

IV.

Wie aber gehen wir nun damit um, in einer solchen Situation zu leben? Ist es nicht erste Bürger- und Christenpflicht, das Gespräch mit allen zu suchen, um den Zu­sam­menhalt der Gesellschaft zu bewahren? Aber Vorsicht. Naivität ist hier äußerst gefährlich.

Funktionäre der AfD sind nicht gewillt, einen sach­lichen, kompromissbereiten Diskurs einzugehen. Sie wollen provozieren, sach­liche Argumente lächerlich machen, niedere Instinkte ansprechen und dadurch den sachlichen Gegner zu Unsachlichkeit verführen. Sie wollen damit agitieren und Aufmerksamkeit erlangen. (Belegt ist dies durch viele Analysen der Reden und durch die Wahlkampfstrategie “AfD-Manifest …“ (siehe oben), in dem genau diese Methoden unverblümt beschrieben worden sind.

Rechtsextreme Funktionäre können keine Gesprächspartner sein. Sie werden ein öffentliches Gespräch entweder dazu nutzen, sich bürgerlich zu geben. Dann verzichten sie auf Provokationen, um die Chance zu nutzen, sich als Person im bürgerlichen Milieu vorzeigbar zu machen. Oder aber sie werden das Podium nutzen, um ihre menschenverachtenden Thesen zu platzieren und diese Hass-Positionen nach und nach gesellschaftsfähig zu machen. Sie sind festgelegte Ideologen, die kaum bekehrbar sind, weil sie ja von der Rolle, die sie spielen, leben.

Anders ist es im Gespräch mit potentiellen oder tatsächlichen Wählerinnen und Wähler der AfD oder mit Menschen, die verunsichert sind, weil die Negativ-Szenarien der Scharf­macher sie besorgt machen oder weil sie glauben, dass bestimmte Themen in unserer Gesellschaft nicht offen diskutiert werden, wie zum Beispiel: „Können wir die Belastungen auf Dauer tragen, die durch die Integration vieler Menschen anderer Kultur entstehen? Und wenn ja, wie?“ Es gibt ja tatsächlich viele ernstzunehmende Fragen, um deren Lösungen sich unsere Gesellschaft noch bemühen muss. Hier gilt es, in die sachliche Ausein­andersetzung mit den Positionen der AfD einzu­steigen. Was würde es denn bedeuten, wenn die AfD in unserem Land mehr Macht gewinnen würde? Jetzt allmählich erst fangen auch Fachleute, Wirt­schafts­vertreterinnen und -vertreter, Gewerkschaften und andere gesellschaft­lichen Repräsentanten an, sich dieser sachlichen Auseinandersetzung zu stellen. Ich nenne nur zwei Beispiele:

Nehmen Sie etwa die Agrardiesel-Subventionen. In ihrem Programm schreibt die AfD, dass sie Subventionen generell ablehnt, das hindert sie aber nicht, öffentliche Gelder für die Landwirtschaft zu fordern. Oder die Rentenpolitik der AfD: Fachleute haben ausgerechnet, dass mit den Konzepten der AfD 40 Pro­zent der Menschen über ein Alter von 70 Jahren hinaus arbeiten müssten. Die sozialpolitischen Forderungen der AfD würden Arme ärmer machen und Reiche reicher. Wer von den sogenannten Protestwählern weiß dies alles und würde es unterstützen? Diese und die vielen anderen Widersprüche müssen neben der klaren ethischen Abgren­zung endlich in der öffentlichen Diskussion aufgedeckt werden.

In alledem dürfen wir als Christenmenschen natürlich nicht unsere eigene Ethik der Menschenwürde verraten. Wir müssen in guter christlicher Tradition zwi­schen Person und Werk unterscheiden, das heißt konkret: unterscheiden zwi­sch­en dem Gegenüber als Mensch und als Vertreter einer verheerenden inhaltlichen Position. Auch wenn der Gegner mich unsachlich angreift und mit persönlicher Diffamierung arbeitet, muss ich mich als Christ bemühen, mich nicht auf dieses Niveau herabzulassen. Ich muss versuchen nach Möglichkeit sachlich zu blei­ben. Das ist nicht einfach, aber notwendig. Denn nach unserem geist­lichen Ver­ständ­nis geht es nicht um einen persönlichen Machtkampf, sondern um eine geist­liche Auseinandersetzung, die nur dann erfolgreich ist, wenn sie ohne Herab­würdi­gung der Person gelingt.

V.

Kirche mit Haltung! Wir müssen also innerhalb unserer Gesellschaft, die sich hoffentlich jetzt in zunehmendem Maße als wehrhafte Demokratie zeigt und auch so handelt, als Kirche Haltung zeigen:

Erstens müssen wir selbst, aber besonders unsere Kirchenleitungen sehr deutlich öffentlich Stell­ung neh­men. Dazu verpflichtet uns unser Bekenntnis. Besonders wichtig dabei ist die Barmer Theologische Erklärung, jener Bekennt­nistext der bekennenden Kirche der 1930er Jahre, mit dem die bekennt­nistreuen Christen sich im Jahr 1934 gegen die Vereinnahmung durch den Natio­nal­sozia­lismus und damit auch gegen die sogenannten "Deutschen Christen" gewehrt haben. In der fünften These heißt es dort, es sei die Pflicht der Kirche "die Re­gierenden und Regierten" an "Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit" zu erinnern. Heute heißt dies: Wenn eine Partei die Menschenwürde und die Werte des Grund­gesetzes nicht achtet, sich anschickt, unsere Demokratie zu unterwandern, dann muss Kirche das anmahnen. Kirche soll zwar keine Politik machen, aber sie muss menschenwürdige Politik möglich machen. Und das bedeutet heute, klar Stellung zu beziehen.

Zweitens müssen in den Gemeinden, in den Akademien, in der Fortbildung von Mitarbeitenden möglichst viele Veranstaltungen angeboten werden, in denen die christliche Ethik gerade jetzt stark gemacht wird. Wir müssen Orte der sach­lichen Diskussion anbieten, an denen zwischen Wahrheit und Lüge, Stim­mungs­mache und sachlicher Analyse, zwischen Hass und Menschenfreund­lich­keit unterschieden wird. Wir leben in keinen einfachen Zeiten. Aber die Zukunft gewinnen werden wir nur, wenn wir unsere demokratische Kultur erhalten und gemeinsam nach Lösungen für die Probleme unseres Landes suchen, und zwar nach menschenwürdigen Lösungen.  

 

VI.

Zum Schluss:

Es gibt ein ganz einfaches Mittel, unsere Demokratie zu verteidigen. Es muss einfach jeder, der demokratisch gesonnen ist, zur Wahl gehen, und eine der Parteien wählen, die zweifelsfrei auf dem Boden unseres Grundgesetztes steht. Dann ist die Gefährdung unserer Demokratie schnell und wirkungsvoll gebannt. Denn dann können die Populisten nicht mehr fälschlicherweise behaupten, sie würden den wahren Volkswillen vertreten.

 

Wir bedanken uns bei Bischof Markus Dröge für die klaren Worte und die Einordnungen!